Kapitalismus in Deutschland und in Entwicklungsländern

„Gutes System, gerechtes Land?“

Viele Deutsche sehen sich als stolze Bürger*innen eines gerechten Systems und denken, dass Deutschland seinen Wohlstand allein durch die Tüchtigkeit seiner Bevölkerung verdient hätte. Sie denken in der Schule lernt man das Wichtigste fürs Leben, um danach in die Arbeitswelt einzusteigen und seine Steuern zu bezahlen. Wir alle würden schließlich davon profitieren, wenn Steuern in unsere Bildung, Verkehrswege, den Rechtsapparat und Subventionen investiert werden. Außerdem sei unsere „Entscheidungsmacht beim Einkaufen“ (1) derart groß, dass sie schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen und der Zerstörung der Umwelt ein Ende setzen kann.

Wir sehen das anders!

„Querschnittskritik“

Wir denken, dass Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung Dinge sind, die es immer in unserem profitorientierten System geben wird. Auch leben wir in einer Leistungsgesellschaft, die ungerecht ist, da dabei immer jemand den Kürzeren zieht. Schulen dienen derzeit nicht der Bildung lebenspraktischer Fähigkeiten und der Entfaltung ihrer Schüler*innen, sondern der Anpassung und Vorbereitung auf einen konkurrenz- und umsatzorientierten Arbeitsmarkt. Wir sind davon überzeugt, dass Gerechtigkeit nichts mit Strafmaß oder damit wieviel Geld man für einen guten Anwalt aufbringen kann zu tun hat. Wir halten die momentan übliche Form von Privateigentum für eine, die Menschen gegenseitig von dem ausschließt, was sie brauchen. Wir finden, dass Menschen, die mit körperlichen oder psychischen Einschränkungen leben oder einen lückenhaften Lebenslauf haben, genauso viele Möglichkeiten und Anerkennung verdient haben als jede*r Andere und niemand nach dem Kriterium seiner ökonomischen Nützlichkeit (2) betrachtet werden sollte. Wir sind der Meinung, dass nicht nur Bürger*innen aus starken Industrieländern Wohlstand verdient haben, sondern alle Menschen gleichermaßen und das überall. Wir denken, dass jemand nicht weniger Lebensqualität verdient, weil er/sie an einem anderen Ort und/oder in einem anderen sozialen Umfeld geboren wurde.

„Das beste System?“

Des Weiteren halten wir diese Ungerechtigkeiten für veränderbar, aber nicht durch bewusste Kaufentscheidungen, sondern durch grundlegende Veränderungen in der Produktionsweise von Waren und der Bereitstellung von Dienstleistungen. Es ist falsch zu glauben, dass dieses System das Beste und einzig Funktionierende ist. Wie funktional kann denn ein System sein, das nicht für alle Erdenbewohner*innen funktioniert, sondern nur für einen Bruchteil? Dennoch scheinen sich Menschen für Deutschland und seine Verwertung von Arbeitskraft und Konsum und seiner systematischen Ausschlachtung anderer Volkswirtschaften (4) begeistern zu können. Wir wollen Schluss machen mit dem Feiern der Ungerechtigkeit, und geben ihr einen Namen:

„Kapitalismus in Deutschland“

Kapitalismus bedeutet für die Bevölkerung Konkurrenz unter den Dienstleister*innen, Produzent*innen und Arbeitnehmer*innen. Produktion wird in erster Linie nicht nach Bedürfnissen ausgerichtet, sondern nach dem Erwirtschaften von Gewinn. Da die Arbeitnehmer*innen mit anderen Arbeitnehmern*innen und Unternehmen mit anderen Unternehmen konkurrieren müssen, lastet ein Leistungsdruck auf uns allen, den Anforderungen des Marktes gerecht zu werden. Arbeitsplätze sind fast ausschließlich in Hierarchien organisiert, die Unterschiede darin erzeugen wie gut jemand bezahlt wird, wie viel Verantwortung und Einfluss jemand besitzt und mit welchem Respekt einem begegnet wird.
Diese Ungleichheiten führen zu Konkurrenz, Misstrauen und nicht selten zu Machtmissbrauch. Glücklicherweise gibt es hierzulande soziale Absicherungen, z.B. durch Arbeitslosengelder, doch deren Bezug erfordert regelmäßige Amtsgänge,  Schikane von Behörden und Ächtung von Mitbürger*innen (2) und wer dauerhaft keine Beschäftigung findet, der landet bei Hartz IV und muss im Alltag jeden Euro zweimal umdrehen, vor allem, wenn die betroffene Person Kinder versorgen muss. Auch wird der Wiedereinstieg ins Berufsleben mit jedem weiteren Jahr der Arbeitslosigkeit schwerer, da eine lange Phase der Erwerbslosigkeit in den Augen von Arbeitnehmer*innen ein schlechtes Zeichen ist.
Eine Leistungsgesellschaft berücksichtigt nicht, dass die Grundbedingungen von Menschen verschieden sind. Die eigenen Möglichkeiten variieren je nach dem mit welchen körperlichen und geistigen Fähigkeiten und in welcher gesellschaftlichen Schicht man geboren ist. Somit ist die Einkommensklasse, in der man arbeiten wird und das Geld, das man von Mama erbt, nicht nur abhängig von persönlicher Leistung, sondern auch von Faktoren, auf die man keinen Einfluss hat.

„Arm und Reich“

Wir halten nicht viel von diesem System. Selbstentfaltung und persönliche Freiheit finden kaum noch Platz im Korsett der gesellschaftlichen Erwartungen, die auf dem Arbeitsmarkt und dem sozialen Leben an uns gestellt werden. Natürlich mag die Äußerung „Hier haben wir´s doch relativ gut, anderswo verhungern die Menschen.“ stimmen (3), doch wir finden relativ gut ist noch lange kein Grund alles Schlechte gut zu heißen.

Warum hungern anderswo Menschen, während wir eine derart reichhaltige Menge an Essen haben, dass wir Lebensmittel aufgrund von Schönheitsfehlern wegwerfen? Besteht ein Zusammenhang zwischen der Armut in wirtschaftlich schwachen Ländern (in denen die Menschen verhungern) und dem Reichtum in Industrieländern?

„Machtasymmetrien“

Ja, denn westlicher Reichtum kommt nicht von ungefähr, da unsere Wirtschaft auf Arbeit, Ressourcen und Konsum in Entwicklungs- und Schwellenländern zurückgreift.

Man könnte meinen, dass Geschäfte, die mit wirtschaftlich schwächeren Ländern getätigt werden mit angemessenen Gegenleistungen verbunden sein sollten, sodass auch ihnen eine Entwicklung in Richtung Wohlstand ermöglicht wird. Dem ist jedoch nicht so, denn wirtschaftliche Machtasymmetrien sorgen dafür, dass schwache Volkswirtschaften von Industrienationen regelrecht ausgeschlachtet werden. So bleibt ein absoluter Mangel in der restlichen Welt bestehen und jeden Tag sterben zehntausende Menschen an Hunger oder heilbaren Krankheiten, obwohl die Produktivkräfte der Welt in der Lage wären dies zu beenden (4). Es besteht aber kein Interesse daran Ungerechtigkeit in der Welt abzubauen, da kapitalistische Systeme den Profit der sozialen Gerechtigkeit überordnen. Die westliche Wirtschaft profitiert von diesen Ungleichheiten auf vielfältige Weise und baut diese immer weiter aus:

„Economic Partnership Agreement“

So wurden die meisten Entwicklungsländer in den 1980er und 90er Jahren im Gegenzug für Kreditzahlungen sogenannten „Strukturanpassungsprogrammen“ unterworfen, die unter anderem eine Liberalisierung des Außenhandels (Abbau von sog. Schutzzöllen), Privatisierung von Staatsbetrieben, Abschaffung von staatlichen Subventionen und den Abbau von Marktregulierungen vorsahen (5). Die gesenkten Einfuhrzölle in Afrika führen, in Kombination mit Agrar- und Exportsubventionen für europäische Produkte, dazu, dass Märkte afrikanischer Länder mit europäischen Dumping-produkten überschwemmt werden, wodurch die verhältnismäßig ineffizienten heimischen Produzenten vom Markt verdrängt werden. Dies fügte der Wirtschaft bestimmter Länder bereits großen Schaden zu, wie zum Beispiel den Milchbauern in Burkina Faso, Schlachthäusern in Ghana und Schweinmästereien in der Elfenbeinküste (6). Es ist gängige Praxis an der Zerstörung von Volkswirtschaften und Natur, und damit der Lebensgrundlage von Menschen, zu verdienen, z.B. durch die Förderung von Erdöl im Nigerdelta (7). So sind Entwicklungsländer bemüht deren Volkswirtschaften durch staatliche Regulierungen zu schützen, um den zerstörerischen Konkurrenzdruck des Weltmarktes einzudämmen. Jedoch verdienen Industrieländer schlechter durch deren Schutzzölle und Importquoten, weshalb die Europäische Union weiter darauf hinarbeitet diese zu unterbinden. Demnach sieht das aktuelle Wirtschaftsabkommen EPA (Economic Partnership Agreement) einige weitere Handelsliberalisierungen in 79 Ländern vor, davon einige ehemalige Kolonialstaaten (AKP-Staaten). Wenn sich ein Staat gegen das Abkommen stellt, wird er durch Zugangsbeschränkungen zum EU-Markt zu einer Unterzeichnung gedrängt. Kritikern zufolge führt dieses Abkommen in Afrika zu Einnahmeverlusten durch wegfallende Importzölle, einem Außenhandelsschock durch sinkende Wechselkurse und dem Einbruch von schwachen Industriesektoren und der Landwirtschaft, die der starken europäischen Konkurrenz nicht standhalten können (8) .

„Stolz?“

Wer also auf Europa und Deutschland stolz ist, der ist nicht nur auf ein relativ gutes Gesundheitssystem, einen verhältnismäßig hohen Lebensstandard und „soziale“ Marktwirtschaft stolz, sondern auch auf Konkurrenz, profitorientierte Produktion, Benachteiligung und Diskriminierung von Arbeitslosen, Waffenhandel und der gewaltvollen Aufrechterhaltung von einem Machtverhältnis zwischen wirtschaftlich starken und schwachen Nationen, das zu Hunger, medizinischer Unterversorgung und Armut führt.

„Veränderung!“

Wir sind für eine grundlegende Umstrukturierung der Ökonomie, weg von Profitorientiertheit und hin zu einer bedürfnisorientierten, gerechten und nachhaltigen Produktion, die verhindert, dass täglich zehntausende Menschen hungern, an heilbaren Krankheiten sterben (4) und ganze Landstriche unbewohnbar werden (7). Wir grenzen uns ab von hierarchischen Verhältnissen und sind für ein selbstbestimmtes Leben in einer Weltgemeinschaft, in der das Wort von jedem Menschen gleichermaßen zählen soll und in der niemand wegen Geldproblemen oder ökonomischer Ausgrenzung leiden muss. Wir wollen, dass Waren fair untereinander geteilt werden und es Menschen möglich ist sich frei bewegen, entfalten und bilden zu können.

 

(1) http://www.evidero.de/welt-veraendern

(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Diskriminierung_Arbeitsloser

(3) https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a2/WHI_2015_-_Hungerwerte_im_Jahr_2015.jpg

(4) https://www.heise.de/tp/features/Die-weltweite-Ausbeutungspyramide-am-Beispiel-Afrika-3398573.html

(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Strukturanpassungsprogramm

(6) http://www.monde-diplomatique.de/pm/2012/01/13.mondeText.artikel,a0037.idx,8

(7) https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96lkatastrophe_im_Nigerdelta

(8) https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftspartnerschaftsabkommen

 

Ausgesprochener Dank geht an Jascha Jaworskis Artikel „Die weltweite Ausbeutungspyramide am Beispiel Afrika“.

 

Dokumentation zum Thema von Arte: „Wieviel Schulden erträgt Afrika“