Wer sich jetzt zum Horst macht, hat den Schuss nicht gehört.

Eine Stellungnahme gegen die Äußerungen von Boris Palmer im Spiegel-Interview vom 13.02.2016

Während der Oberbürgermeister einer mittelgroßen Universitätsstadt irgendwo in Süddeutschland dem Spiegel erklärt, wie die EU-Außengrenzen gegen Flüchtlinge abzusichern seien, halten es immer mehr Deutsche für angebracht, dass dort dann im Zweifelsfall auch geschossen wird. Es brennen nach wie vor die Unterkünfte derjenigen, die es trotz ungarischer, slowenischer, spanischer Zäune und ihren bewaffneten Grenzschützern hierher geschafft haben. Rassistische Parteien verbuchen in Europa weiterhin beängstigende Erfolge und verschieben den öffentlichen Diskurs sowie die Politik der Regierungsparteien weiter nach rechts.

Abschiebung, Abschreckung, Abschottung – das sind doch die vorherrschenden „Problemlösungen“; rassistische Diffamierung und nationalistischer Wahn – die Hebel, mit denen sie umgesetzt werden.

Doch Palmer scheint das alles nicht zu reichen: für ihn gibt es noch zu wenig „sichere Drittstaaten“, in die abgeschoben werden kann; zu viele Flüchtlinge, denen erklärt werden muss, dass sie gar keine sind; zu wenig Zäune und Waffen an den Grenzen. Darf man annehmen, dass ihm die „Erfolge“ der milliardenschweren, von der EU seit Jahrzenten praktizierten Politik der Abschottung, für deren Befürwortung er sich nun als Bad Boy inszeniert, einfach nicht bekannt sind?

Nach Schätzungen des Datenbankprojekts The Migrants Files sind seit Anfang des Jahrhunderts über 23 000 Menschen auf dem Weg nach Europa gestorben oder als vermisst gemeldet worden.

Wo sehen Sie da einen Ponyhof, Herr Palmer?!

Ohne weitergehende Unterstellungen machen zu wollen, bleibt letztlich nur die Feststellung, dass das alles ganz danach klingt, wie er es (mit einem anderen Beispiel) in seinem berühmten 5-Thesen-Papier formuliert hat: „Die uneingeschränkte Befürwortung des Asylrechts ist vorerst keine Forderung, mit der sich 25 Prozent der Deutschen gewinnen lassen.“ 1

Die traurige Tatsache, dass er damit wahrscheinlich auch Recht hätte, bildet den Hintergrund, vor dem wir seine Aussagen für gefährlich halten. Als wären AfD und CSU nicht schon Brandbeschleuniger genug, haben diese Aussagen im Wesentlichen den realpolitischen Effekt, dass sie aus der Grünen Partei eine neue Bezugsgröße für die „BeschützerInnen des Abendlandes“ machen. Was das Erstarken dieser rechtspopulistischen Bewegung für die Unversehrtheit von Menschenleben bedeutet, sollten inzwischen alle kapiert haben, die dafür noch empfänglich sind.

(März 2016)

1 Im Original: „Das uneingeschränkte Adoptionsrecht für homosexuelle Paare ist vorerst keine Forderung, mit der sich 25 Prozent der Deutschen gewinnen lassen“ (TAZ: Aufbruch in neue Milieus, 30.5.2011).