Wir, die Ehrenamtlichen des Epplehaus‘, möchten im folgenden Text ein Thema ansprechen, was die unmittelbare Umgebung unseres Projektes betrifft.
Um das Epplehaus herum treffen sich schon seit etlichen Jahren Personen aus gesellschaftlich marginalisierten Randgruppen (Suchtkranke, Langzeit-Erwerbslose, Wohnungslose, Geflüchtete etc.). Diese sind zumeist von Armut und Ausgrenzung in der Gesellschaft betroffen.
Die Gruppen ums Epplehaus sind in den letzten Monaten sichtbar größer geworden. Die gestiegene Anzahl von gesellschaftlich marginalisierten Personen um das Epplehaus herum dürfte unterschiedliche Gründe haben. Einer dürfte in dem Umbau des Anlagensee-Park-Ufers beim Europaplatz liegen. Dieser war de facto eine Art Gentrifizierung, der zu einer Verlagerung von Personen geführt hat, die sich ursprünglich im Sommer tagsüber am Anlagensee-Park aufgehalten haben. Ein Tagblatt-Bericht (1) benennt zudem die Verdrängung von People of Color aus dem Alten Botanischen Garten und eine Verdrängung vom Platz vor der Eberhardskirche als weitere Gründe. Der Aufenthalt hinter dem Epplehaus außerhalb der Sichtweite der Straße dürfte besonders People of Color (2) vor so genanntem Racial Profiling (3) schützen. In Teilen dürfte für alle Gruppen eine Art ‚Social Profiling‘ (4) hinzu kommen.
Mit der Zunahme an Personen nehmen wir auch eine Zunahme von Konflikten zwischen verschiedenen Einzelpersonen innerhalb dieser Gruppen wahr, die manchmal auch in Gewalt eskaliern. Es kommt dann zu Gewalttätigkeiten meist zwischen Einzelnen, vereinzelt auch zwischen Gruppen. Alkoholkonsum und bestimmte Männlichkeitsvorstellungen wirken als Verstärker. So gut wie nie sind Außenstehende betroffen. Diese Gewalt-Eruptionen lassen uns als Epple-Ehrenamtliche oft hilflos zurück. Als Beobachter*innen solcher Eskalationen sind wir immer unschlüssig, ob bzw. ab wann wir die Polizei verständigen sollen. Vereinzelt haben wir das auch schon getan, etwa wenn akute Verletzungsgefahr bestand. Grundsätzlich sind wir keine Fans von Polizei-Interventionen und halten sie in vielen Fällen für eher ungeeignet für einen sensiblen Umgang mit gesellschaftlich marginalisierten Menschen. Auch Polizei-Razzien bzw. -Kontrollen, wie in zunehmende Maße zu beobachten, und Platzverweise sorgen für keine Lösung und verstärken eher eine Stigmatisierung in der Öffentlichkeit. In mehreren Fällen konnten wir Fälle von mutmaßlichen Racial Profiling beobachten, von dem auch Menschen betroffen waren, die gar nicht zu den genannten Gruppen gehörten. Zum Beispiel wurde in einem Fall ein Schwarzer Vater vor den Augen seines Kindes kontrolliert und erhielt einen Platzverweis, was eine öffentliche Demütigung unter den Augen seines Kindes darstellte.
Um es noch einmal deutlich zu sagen, wir halten nicht die Menschen um das Epplehaus an sich für das Problem, sondern sehen, dass sie oft Probleme haben, aus denen Folge-Probleme resultieren. Die Ballung von Menschen mit diversen Problemen und in Ausnahmesituationen bei gleichzeitig nicht ausreichender Straßen-Sozialarbeit betrachten wir als die Hauptursache der Zunahme von Konflikten rund um das Haus. Dabei möchten wir einzelne Personen aus den erwähnten Gruppen allerdings auch nicht aus ihrer individuellen Verantwortung für ihr Handeln entlassen, denn wir nehmen durchaus einzelne Personen als anstrengend, uneinsichtig und problematisch in ihrem Verhalten wahr.
Wir als Epplehaus wünschen uns einen konstruktiven und Problemlösung-orientierten Umgang mit diesen Menschen. Ein wichtiger Ansatz wäre eine aufsuchende Straßensozialarbeit, die Hilfe und Unterstützung leistet und eine langfristige Beziehung zu ihren Klient*innen aufbaut, sowie Folge-Angebote gewährleistet. Wir sprechen uns damit für einen sozialarbeiterischen Ansatz und gegen eine Verdrängung/Vertreibung, Kriminalisierung und Videoüberwachung aus. Uns ist klar, dass im sozialen Bereich in Tübingen gerade eher eingespart wird, doch wer im Sozialen einspart, muss später in anderen Bereichen wie Sicherheit und Gesundheit drauf zahlen! Genauso wenden wir uns gegen Racial und Social Profiling. Wenig hilfreich wäre auch eine Ethnisierung sozialer Probleme, wie sie u.a. auch der Tübinger Oberbürgermeister gerne vornimmt. Ein sinnvoller Ansatz wäre es, die betroffenen Menschen einmal selber zu befragen, welche Hilfe und Unterstützung sie benötigen. Der Wunsch nach einem eigenen, wettergeschützten Treffpunkt wäre nahe liegend. Das Gelände um das Epplehaus ist, bis auf den nahen Supermarkt und die Innenstadt-Lage, eigentlich maximal ungeeignet als Treffpunkt. Weder gibt es öffentliche Toiletten, noch Sitzbänke oder ausreichend Schatten-Plätze. Dass sich hier trotzdem viele Menschen treffen, sagt auch etwas über die fehlenden Alternativen für gesellschaftlich marginalisierte Personen aus. Alles in Allem wünschen wir uns eine konstruktive Diskussion, auch mit den Menschen selber, und als Resultat einen Problemlösung-orientierten Umgang.
(1) Obdachlose und Drogenabhängige in Tübingen: Wohin mit der Drogenszene? – In der Stadt werden Lösungen gesucht, https://www.swp.de/lokales/tuebingen/obdachlose-und-drogenabhaengige-in-tuebingen-wohin-mit-der-drogenszenenbsp-in-der-stadt-werden-loesungen-gesucht-78100390.html
(leider scheint die Autorin keinen Versuch gemacht zu haben mit den Betroffenen selber zu sprechen)
(2) Menschen, die die Erfahrung machen, in einer mehrheitlich Weißen Gesellschaft als nicht dazu gehörig, als „nichtdeutsch“ wahrgenommen zu werden.
(3) Mit „Racial Profiling“ wird die Methode bezeichnet, das physische Erscheinungsbild, etwa Hautfarbe oder Gesichtszüge einer Person als Entscheidungsgrundlage für polizeiliche Maßnahmen wie Personenkontrollen, Ermittlungen und Überwachungen heranzuziehen.
(4) Unter ‚Social Profiling‘ wird die Methode bezeichnet, die zugeschriebene niedrige soziale Stellung, also die Armut, einer Person als Entscheidungsgrundlage für polizeiliche Maßnahmen wie Personenkontrollen, Ermittlungen und Überwachungen heranzuziehen.



