„»Gesunder Patriotismus klingt für mich ein bisschen wie „gutartiger Tumor“«“
Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken
Auf dem Plenum am 18. Juni 2024 hat das Epplehaus seinen Beschluss des Verbots nationaler Symbole für das Haus erneuert. Das heißt, auch Fußball-Fan-Utensilien mit Schwarzrotgold-Bestandteilen müssen überklebt oder ausgezogen werden.
Wir möchten gerne erklären, warum wir diese Entscheidung getroffen haben.
„Ist doch nur Fußball!“
Die Mär vom unpolitischen Fußball halten wir für einen Mythos. Es geht uns nicht um die spielerischen Leistungen der Mannschaften, sondern darum, wie dieses Spiel aufgeladen, welche Effekte es hat und wer es für sich nutzt.
Wir sind gegen jeden Nationalismus. Grundsätzlich sehen wir den Unterschied zwischen einem exklusiven völkischen Nationalismus a la Björn Höcke und einem inklusiven Nationalismus wie er von der Ampelregierung vertreten wird. Wir sehen den Unterschied, jedoch auch das Gemeinsame. Beiden Varianten zu Grunde liegt eine Zwangskollektivierung von sehr unterschiedlichen Individuen in der Nation. Im Stadion und vor der Großleinwand entsteht im Männer-Fußball auf der Basis von Nationalismus, Regionalismus und Heterosexismus ein positives Vergemeinschaftungsgefühl, was bei den Männer-WM- und -EM-Spielen entsprechend nationalistisch aufgeladen ist.
Auch der fröhliche und vermeintlich unbeschwerte Fußball-‚Patriotismus‘ lebt davon, dass er Menschen zu einer Gruppe, nämlich „die Deutschen“, zusammen schweißt. Grundlage ist eine gemeinsame Staatsbürgerschaft, der Lebensort oder – in der Höcke-Variante – Herkunft und Hautfarbe.
Dabei unterscheiden sich die 83 Millionen Einwohnerinnen der Bundesrepublik stark untereinander, nach Gender, nach Herkunft, nach Klasse bzw. Einkommen bzw. den sich daraus ergebenden Privilegien. Die Gemeinsamkeit wird erst durch das Bekenntnis zur Nation her gestellt und hat keine objektiven Grundlagen. Jede Nation ist auch ein Konstrukt. Selbst wenn es so etwas wie kulturelle und sprachliche Prägungen gibt, so können diese abgelegt oder verändert werden. Nun wollen einige Leute stolz auf Deutschland sein. Da stellt sich doch die Frage, worauf sie genau stolz sind? Als Antwort werden dann Dinge genannt wie: Deutsche Markenqualität, Goethe, die schönen deutschen Wälder oder letztens auf die Leistungen der deutschen Nationalelf bei der Männer-EM. Die Leute, die solche Antworten geben, haben fast nie etwas zu tun mit der Qualität von Produkten, haben nicht Goethes Werke verfasst, tragen nichts zur Schönheit der Natur bei (die sich auch nicht an Grenzen hält) und haben ebenso wenig die Tore bei der EM geschossen. Letztlich findet eine Fremd-Aneignung von positiven Dingen und Leistungen statt. Dabei müsste man, wenn man schon auf all die tollen Dinge stolz ist, sich gleichzeitig sehr schämen – besonders im postnazistischen Deutschland mit seiner massenmörderischen Vergangenheit. Deutsche ‚Patriotinnen‘ lehnen den Begriff „Kollektivschuld“ aber meist entrüstet ab, während sie ihren Kollektivstolz gerne vor sich her tragen, z.B. in Form von Fußball-Trikots.
„Das schadet doch keinem!“
Der Fußball-Nationalismus kommt erst einmal nett daher. Doch wie schon gezeigt, ist Nationalstolz oder ‚Patriotismus‘ eine arg konstruierte Sache. Mit dem Appell an die Kollektividentität werden reale Unterschiede zwischen Individuen und sozialen Gruppen nicht zum Verschwinden gebracht, sondern nur übertüncht. Für den Obdachlosen stellt es keine reale Verbesserung seiner Lage dar, wenn Deutschland Exportweltmeister oder Fußballeuropameister wird.
Oft wird noch dazu verlangt, zugunsten des nationalen Kollektivs auf irgendetwas zu verzichten. Da wird dann z.B. eine Nullrunde in den Lohnverhandlungen hingenommen, um den Standort Deutschland aufzuwerten.
Dabei haben die Menschen diesseits und jenseits der Grenze gemeinsame Interessen gegenüber den herrschenden Verhältnissen. Doch die Einteilung in Kollektive führt dazu, dass sich die Menschen mit denselben Interessen gegeneinander ausspielen lassen.
Der Appell ans Nationale ist gefährlich, denn jede Form von Nationalismus – auch wenn er als ‚Patriotismus‘ auftritt – ist ausgrenzend. Jede Nation ist ein exklusiver Club, in den nicht jeder rein kann, der/die will. Früher wurden Menschen nicht akzeptiert, die kein „deutsches Blut“ (was es natürlich gar nicht gibt) haben, heute sind es Geflüchtete, Migrantinnen oder jüdische Menschen, die ausgegliedert oder unter den Generalverdacht der fehlenden Loyalität gestellt werden.
Auch wenn derzeit über die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert wird, geht es aktuell weniger um die Mobilisierung für Kriege, aber offenbar sollen gesellschaftliche Probleme und Gegensätze unter eine große Deutschlandfahne gekehrt werden. Wenn alle die Siege der deutschen Nationalmannschaft feiern, dann spricht niemand mehr über Diskriminierungen, verschärfte Asylgesetze, Wohnraum-Not und Obdachlosigkeit, Klimawandel und Artensterben oder die Wahlsiege der AfD zur Europa- und Kommunalwahl am 9. Juni. Übrigens versucht auch die AfD mittels sharepics etc. Anschluss an die Deutschland-Fans zu bekommen, obwohl der Höcke-Flügel eher kein Fan der meisten Spieler sein und ihnen den Status als „echte Deutsche“ absprechen dürfte.
„Kann ja jede selbst entscheiden, ob sie mitmacht!“
Leider ist es nicht so, dass die Frage welche und ob man eine EM-Mannschaft unterstützt nur freiwillig beantwortet wird. Nationalismus lebt von einer ingroup-outgroup-Einteilung, welche oft mit der Ausgrenzung und Herabsetzung Anderer einher geht. Beispielhaft ist das festzustellen an den Fangesängen, in denen häufig der Gegner herabgesetzt und abgewertet wird. Fußball ist nur eines der Spielfelder für Chauvinismus und nationale Feinbilder.
Es herrscht ein ziemlicher Anpassungs- und Konformitätsdruck. Wer als ‚Deutscher‘ eingeordnet oder akzeptiert werden will, ‚muss‘ auch für die deutsche Mannschaft sein, so die nationalistische Logik. Wer dann aber für eine andere Mannschaft ist oder sich über die Niederlage Deutschlands freut, dem schlagen schnell Aggressionen entgegen. Das zeigt, dass auch dem Fußball-Patriotismus nicht selten nationalistisches Eskalationspotenzial inne wohnt.
„Ihr seid nur linke Spielverderber!“
Manche von uns im Epplehaus mögen Fußball und andere nicht. Es geht uns mit unserem Verbot von Deutschlandfan-Merchandise aber nicht um das Fußball als solchen. Auch wenn wir viele grundsätzlichen Probleme im Männer-Fußball sehen: ein aggressiver Regionalstolz, Rassismus, Heterosexismus etc.
Uns geht es vor allem um die Probleme die die Männer-Nationalmannschafts-Spiele mit sich bringen. Dabei ist uns klar, dass unsere Einstellung bei vielen auf Unverständnis stoßen wird. Wir wissen nicht, ob unsere Kritik in emotionalisierten Zeiten der EM durchdringen wird.
Menschen, die keine Lust auf Fahnengewedel und „So sehen Sieger aus“-Geschrei haben, will das Epplehaus eine Ruhe- und Schutzzone bieten. Diese Insel wird konkret durch das Verbot von Nationalsymbolik geschaffen. Mit dieser Aktion hält das Epplehaus an seiner eigenen Tradition fest, immerhin ist der schwarz-rote Anarcho-Stern bis heute das Symbol des selbstverwalteten Jugendhauses.
Eure vaterlandslose Gesell*innen aus dem Epplehaus